Gravel Bike, Achental

Trendsportart Gravel Bike

Gravel Bikes sind derzeit in aller Munde. Doch was macht diese Räder so besonders, und warum erleben sie gerade einen solchen Boom? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, haben wir Stephan (Steff) Kleinschroth, den Inhaber von Radsport Kleinschroth, zum Interview in seinem Radsport-Laden in Schleching besucht. „Das Achental im Chiemgau wird immer hipper“, sagt Steff Kleinschroth. Warum das aus seiner Sicht so ist, hat er uns im Gespräch erzählt.

Steff, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, uns mehr über das Thema Gravel Bike zu erzählen. Bevor wir in das Thema Gravel Bikes einsteigen – wer bist du und wie lange gibt es Radsport Kleinschroth schon?
Ich bin in Schleching aufgewachsen und habe das Geschäft vor 18 Jahren als kleine Werkstatt als Einzelunternehmer gegründet. Mittlerweile sind wir eine GmbH mit zwei Geschäften in Reit im Winkl und in Schleching. Wir sind eine bekannte Größe in der Region und versuchen, die Bikerinnen und Biker glücklich zu machen. Ich bin KFZ-Mechaniker Meister und habe nebenher im Keller angefangen, Räder zu reparieren – zuerst die unserer Familie, dann die unserer Freunde, dann die der Freunde von Freunden. Irgendwann war der Keller ein kleines Geschäft, dann wurde die Garage ein kleines Geschäft und die Räder waren überall im Haus.

Wir haben dann die Chance bekommen, ein kleines altes Lagerhaus in der Nachbarschaft zu mieten. So kam es zu dem Ladengeschäft heute in Schleching – ich habe dann auch recht schnell meinen Zweirad Mechatronik-Meister gemacht und den ersten Lehrling angestellt. Mit den E-Bikes ist unser Geschäft gewachsen – heute beschäftigen wir 10 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an zwei Standorten. Wir haben ein Einzugsgebiet von 80 bis 100 Kilometern – unsere Kunden kommen von überall her. Ich bin sehr stolz auf mein Team und unser Geschäft.

Welcher Radfahrertyp bist du in deiner Freizeit? Fährst du selbst auch ein Gravel Bike oder bevorzugst du einen anderen Fahrradtyp?
Ich teste berufsbedingt Räder alle Kategorien. Ich selbst bin der Genussfahrer, der sich gerne in der Natur bewegt. Ich bin nicht der Übersportler, dafür teste ich gerne die Mechanik an den Rädern aus. Mein Lieblingsrad ist mein Mountainbike, heute auch Bio-Mountainbike genannt (Anmerkung der Redaktion: Bio-Bike ist das neue Wort für Räder ohne Motor). Für mich ist der Weg das Ziel. Ich erlebe gerne die schönen Orte am Berg und erkunde die Gegend. Mit meinem Bio-Bike habe ich auch schon einen Alpencross mitgemacht. Bei mir steht aber die Geschwindigkeit nicht im Vordergrund.

Was genau ist ein Gravel Bike ist und wie unterscheidet es sich von anderen Fahrrädern?
Gravel Bikes sind ein Trend, der von Amerika nach Europa gekommen ist. „Gravel“ ist ja das englische Wort für Schotter. Es sind Räder, die die Amerikaner auf ihren groben, schottrigen Wegen gefahren sind. Sie brauchten Räder, auf denen man sich auf losem Untergrund schnell fortbewegen konnte. So wurden Rennräder mit Stollen auf den Reifen umgerüstet zur “Schotterfahrmaschine”. Ein Gravel Bike ist eine Art Universalmaschine – ein Sportgerät, das eine etwas angenehmere Sitzposition bietet, aber auch die Freiheit, mit größeren Reifen Forst- und Schotterwege zu fahren.

Welche Art von Radfahrer sollte sich deiner Meinung nach ein Gravel Bike zulegen? Gibt es bestimmte Voraussetzungen oder Vorlieben, die man haben sollte?
Ein Gravel Bike ist geeignet für Radfahrer, die sich schnell im kupierten (sanften und hügeligen) Gelände bewegen wollen. Es eignet sich für Menschen, die keine sehr hohen Berge erklimmen wollen oder können. Im kupierten Gelände ist diese Art des Radfahrens sehr sportiv. Meine Beobachtung ist, dass das Gravel Bike zunehmend von jüngeren Frauen genutzt wird. Junge Frauen fahren oft zu zweit los und lieben das sportliche Fahren in hügeliger Landschaft auf unterschiedlichen Untergründen. Die Männer besitzen eher ein Rennrad und nutzen das Gravel Bike als Übergangsrad vom Winter in den Frühling, wenn es noch schlammig und matschig ist oder als Übergangsrad vom Herbst in den Winter – häufig als Zweitbike. Sechs von zehn verkauften Rädern sind mittlerweile Gravel Bikes. Ganz neu ist, dass das E-Gravel Bike Einzug erhält. Das war gerade auf der Messe EUROBIKE in Frankfurt ein Thema.

In den letzten Jahren haben Gravel Bikes einen regelrechten Boom erlebt. Woran liegt das deiner Meinung nach? Gibt es spezielle Trends oder Entwicklungen, die diesen Hype befeuern?
Die Rennradfahrer wollen am Sonntag nicht mehr auf der Straße fahren, weil der Verkehr so zugenommen hat. Wir sind hier im Achental auch ein Rennrad-Eldorado. Aber die Rennradler sind mittlerweile eher unter der Woche unterwegs. Das hohe Verkehrsaufkommen gefährdet den Radfahrer, wie auch den Autofahrer. Es ist so viel erholsamer, die Straßen verlassen zu können und mit dem Gravel Bike durch den Wald oder auf Schotterwegen zu fahren.

Für welche Strecken und Terrains eignet sich ein Gravel Bike am besten? Kannst du uns Beispiele geben, wo man es einsetzen kann?
Mittlerweile sehe ich Gravel Biker auch im Gelände, das eigentlich eher ein reines Mountainbike-Gelände ist – oben am Berg. Eine Mountainbike-Tour mit dem Gravel Bike zu fahren kann aber aus Konditionsgründen nicht jeder. Bergtouren sind zwar erreichbar mit dem Gravel Bike, aber anspruchsvoll. Wenn jemand aus dem Achental rausfahren möchte, über Straßen, Schotterwege, Forststraßen, durch Moorlandschaften, rund um den Chiemsee in einer Geschwindigkeit so um die 20- 25  Kilometer pro Stunde – da macht Graveln richtig Spass und ist deutlich sportiver als ein Trekking-Rad. Darum ist unsere Community so begeistert vom Gravel Bike.


Das Achental steht für naturnahen Tourismus. Würdest du sagen, dass unsere Region besonders gut für Gravel Biker geeignet ist? Wenn ja, warum?
Ja, unbedingt. Warum reisen die Menschen so gerne ins Achental? Weil es hier so schön ist. Warum bringen unsere Gäste alle ihre Fahrräder mit oder leihen sich welche aus? Weil es hier alles gibt: Berge, Seen, Wälder, schöne Ortschaften, hügelige Landschaften, ein sehr gut ausgebautes Netz an Fahrradwegen und Schotterwege abseits der Straßen. Das Achental ist (noch) ruhiger als andere Tourismus-Regionen. Es ist eine sehr schöne Gegend, in der jede Form des Fahrradfahrens Spaß macht.

Kannst du uns einige Touren im Achental empfehlen, die sich besonders gut für Gravel Bikes eignen? Welche Routen sollte man in jedem Fall mal gemacht haben?
Wir fahren gerne auf der linken Achental-Seite von Schleching bis nach Übersee zur Nikolauskapelle, genießen den Chiemsee und fahren auf der anderen Talseite über den Achendamm zurück nach Schleching. Das ist für mich eine richtig schöne Gravel-Runde. Für den Gravel-Anfänger sind 20-30 Kilometer schon eine richtige Herausforderung. Wenn man dann ein paar Höhenmeter einbauen will, kann man das verbinden mit einem Abstecher, z.B. zur Agersgschwendt-Alm oder zur Jochberg-Alm. Das kann man sich modular zusammenstellen. Für die breite Masse ist eine klassische Mountainbike-Tour bei uns mit dem Gravel Bike zu anstrengend.

Eine klassische Gravel-Runde ist auch von uns in Schleching nach Kössen über den Golfplatz zum Walchsee und zurück. Da kommt man an Bächen entlang, am See, mit herrlichem Bergpanorama – eine klassische Gravel-Runde mit ca. 50 Kilometern.

Welche ist deine Lieblings-Gravel-Bike-Runde? Was macht diese Route für dich so besonders?
Eine der schönsten größeren Runden ist für mich die Weitseen-Röthelmoosrunde. Ich fahre raus aus dem Achental durchs Moos nach Staudach-Egerndach, dann nach Bergen, dann nach Siegsdorf und über Brand-Ruhpolding rein ins Röthelmoos-Gebiet. Dann fahre ich runter zu den Weitseen und über Reit im Winkl über den Golfplatz nach Kössen und dann über die Bärengasse zurück nach Schleching. Das ist eine größere Runde, aber es gibt ja schöne Einkehrmöglichkeiten unterwegs. Wer fit ist und gerne eine 80 Kilomter-Runde fahren möchte, dann ist das meine Empfehlung.

Zukünftig planen wir auch sogenannten Social Rides ab Radsport Kleinschroth in der Gruppe mit abschließender Einkehr bei uns auf Kuchen oder Pizza. Das werden wird dann über unseren Instagram-Kanal kommunizieren.

Was sind deine besten Tipps für jemanden, der gerade erst mit dem Gravel Biken anfangen möchte? Gibt es besondere Ausrüstungsgegenstände oder Techniken, die man beachten sollte?
Man sollte sich bewusst sein, dass ein Gravel Bike ein Sportgerät ist. Man bewegt sich flotter als auf einem Trekking- oder Mountainbike. Ich würde am Anfang kein System mit Click-Pedalen verwenden und erstmal üben, sicher stehen zu bleiben. Man kann immer nachrüsten. Man sollte auf weiche Lenkerbänder achten (ein Gravel Bike hat keine Federgabel) und Beleuchtung am Rad haben. Gute und funktionale Kleidung erhöhen die Freude am Fahren. Und selbstverständlich immer mit Helm.

Unverzichtbar für den Pannenfall ist eine kleine Tasche am Sattel mit Reifenheber, Mini-Tool-Set, Ersatzschlauch und kleiner Gravel-Luftpumpe. Man sollte sich im Notfall helfen können, zumindest ein Telefon dabeihaben, um sich abholen zu lassen. Wir bieten auch Pannen-Workshops im Herbst und Winter an – auch speziell für Damen.