Auf a Wort im Achental mit Andreas Kuhnlein
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Andreas Kuhnlein wurde 1953 in Unterwössen geboren und zählt zu den bekanntesten zeitgenössischen Bildhauern in Deutschland. Ursprünglich als Schreiner ausgebildet, fand er in den 1980er Jahren zur Kunst und arbeitet seit 1983 als freischaffender Künstler in seiner Heimat.
Kuhnlein ist bekannt für seine ausdrucksstarken, zerklüfteten Skulpturen, die er aus kranken und vom Sturm gefällten Hartholzstämmen fertigt. Seine Werke zeichnen sich durch Oberflächen aus, die den Charakter des Holzes betonen und zugleich tiefgründige Emotionen vermitteln. In 16 Ländern waren seine Menschenbilder bisher zu sehen. Das Thema seiner Arbeit ist: Wer sind wir, wo kommen wir her, wo gehen wir hin?
Im Januar 2025 haben wir den Künstler auf seinem Hof und in seiner Werkstatt am Lindenbichl in Unterwössen besucht, um mit ihm über Kunst, Heimat und das Achental zu sprechen.
Das Interview gibt es auch als Podcast zum Anhören:
Wie kam es dazu, dass du mit Holz arbeitest?
Das wurde mir praktisch in die Wiege gelegt. Als Bub habe ich mit den Freunden jede freie Minute im Wald verbracht. Ich bin in der Landwirtschaft groß geworden und habe dann Schreiner gelernt. Ich habe mein Leben lang mit Holz zu tun gehabt. Faszinierend war für mich schon immer, dass ein Baum mit seinen Jahresringen das Leben ebenso speichert wie das menschliche Antlitz.
Deine Kunst ist oft von einer tiefen Emotionalität geprägt. Was sind deine Gedanken, die dich beim Schaffen inspirieren?
Ich bin seit mehr 40 Jahren als Künstler tätig. Schon immer stand der Mensch im Mittelpunkt meines Schaffens. Vier Jahre lang arbeitete ich größtenteils mit den Materialien Stein und Bronze. In dieser Zeit habe ich – beim Porträtieren – viele Gespräche mit alten Menschen geführt. Aufgrund dieser Erzählungen hat das Thema Vergänglichkeit immer mehr Raum gegriffen. Es hatte zur Folge, dass sich eine gewisse Abneigung gegenüber dem Material Bronze entwickelte, weil dieses – zumindest nach menschlichem Ermessen – ewig hält. Zudem sind es auch Erfahrungen aus der Vergangenheit im Polizeidienst, bei Demonstrationen. Es ist der Alltag, der Blick auf unsere Gesellschaft, auf den Menschen im Allgemeinen. Und nicht zu vergessen: Der Blick in den Spiegel.
Wie beeinflusst die Natur, die dich hier im Achental umgibt, deine Arbeit?
Ich gehe gerne auf unsere heimischen Berge. Am liebsten schon in der Früh, noch in der Dunkelheit. Ich stehe jeden Morgen um 4.30 Uhr auf.
Die Natur zeigt mir sehr deutlich den Prozess vom Werden und Vergehen. Sie erinnert mich an die große Verantwortung, die wir Menschen angesichts unserer kurzen Erdenzeit ihr gegenüber haben.
Viele deiner Werke strahlen eine Verbindung von Mensch und Natur aus. Welche Botschaften möchtest du mit deinen Skulpturen vermitteln?
Dreierlei ist mir wichtig auszudrücken:
- Die Brutalität des Menschen, den Mitmenschen und der Natur
gegenüber. - Die Verletzbarkeit und Zerbrechlichkeit des Menschen.
- Die Vergänglichkeit, als zentrale Wahrheit unseres Daseins.
Wo ist deine Kunst im Achental erlebbar?
Meine Werke sind unter anderem in Unterwössen am Alten Bad, am Rathausplatz und in Grassau am Kirchplatz zu finden. Ich habe zahlreiche Projekte mit Schulen auf Ausstellungen und bei uns am Lindenbichl durchgeführt. Es ist mir sehr wichtig, junge Menschen mit Kunst in Berührung zu bringen. Es bleibt immer was hängen. Hier ist auch eine engagierte Lehrerschaft gefragt.
Welche Ausstellung gibt es gerade von dir zu sehen?
Im Winter ist eigentlich meine kreative, ausstellungsfreie Zeit. Dieser Winter stellt eine Ausnahme dar: Bis Juli 2025 sind zwanzig meiner antiken Motive in der Römischen Thermenruine Badenweiler zu sehen. Alles andere ist zu finden unter www.kuhnlein-bildhauer.de
Woran arbeitest du aktuell?
Momentan bereite ich die Ausstellung zur Tausendjahr-Feier auf der Burg in Burghausen vor. Außerdem noch diverse Auftragsarbeiten, u.a. für die Landesgartenschau in Schärding am Inn (Oberösterreich).
Mit welchen Werkzeugen arbeitest du?
Es ist die Motorsäge. Sie zwingt mich u.a. dazu, mich auf Wesentliches zu beschränken. Nicht Feinheiten wie ein Augenlid oder Fingernägel interessieren mich. Es ist die Haltung eines Menschen und die symbolisch aufgeladene Oberfläche.
Was bedeutet für dich Heimat?
Jedenfalls hat der Begriff für mich nichts mit Tümelei zu tun und schon gar nichts mit diesem unsäglichen „Mia san mia“. Hinzu kommt, dass das Wort immer mehr missbraucht wird. Für mich ist es ein konkretes Gefühl. Bei meinen zahlreichen Auslandsreisen war es immer so, dass sich nach spätestens zehn Tagen, beim Denken an daheim, mein Bauch zusammengezogen hat.
Was ist für dich „Typisch Achental“?
Achental bedeutet für mich intakte Natur, umgeben sein von bewaldeten Bergen, nicht von grauen Felswänden, mit einem öffnenden, befreienden Durchbruch nach Norden. Also „ned eig`naht“ sein.
Wo ist dein Lieblingsplatz im Achental und warum?
Den einen Lieblingsplatz gibt es nicht. Es sind die alten, größtenteils verfallenen Steige, die ich von früher noch kenne. Ich bin schon auch ein Melancholiker. Die Steige führen mich gedanklich oft in meine Kindheit und Jugend zurück, lassen mich an Menschen denken, die mir nahestanden.
Welche ist deine liebste Tradition?
Ich freue mich jedes Jahr aufs Neue, wenn der Nikolaus (wohlgemerkt nicht irgendein Weihnachtsmann!) ins Haus kommt, aber auch das Christkindl, die Klöpfler und die Sternsinger. Die (oft gespannte) Vorfreude und die leuchtenden Kinderaugen möchte ich nicht missen.
Was ist ein perfekter Tag für dich im Achental?
Bei Morgendämmerung, nach dem Frühstück, allein auf‘n Berg. Danach kreative Arbeit, unterbrochen durch gutes Mittagessen und Mittagsschlaf.
Welches ist dein bayerisches Lieblingswort? Und was bedeutet es?
„Griaß‘ di“ und „Pfiad di“. In beiden Fällen, beim Kommen und beim Gehen, wird die betreffende Person direkt und unmittelbar angesprochen. Es sind keine Allgemeinpositionen, die auch für Umstehende gelten könnten, wie das bei anderen Grußformen der Fall ist. Besonders freut mich, wenn Kinder es verwenden.
Kurze Fragen zu Kulinarik in Bayern:
Bosna oder Weißwurst? Weißwurscht
Leberknödel oder Spinatknödel? Kaspressknödl
Schweinsbraten oder Chiemseerenke? Chiemseerenke
Berggehen oder Bergradeln? Berggehen
Berggipfel oder Bergsee? Beides
Alpinski oder Nordicski? Weder… noch.
Was ist dein Lebensmotto?
Albert Schweitzer formulierte: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will“. Dieser Spruch als Leitgedanke für uns alle wäre sicher nicht das Schlechteste.